Wie sollen sich Menschen hier fühlen?

Mindstyle
CHOSEN by Architects
© Mary Goldau
22.9.2025
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Architekt und TU-Holzbau-Professor Florian Nagler hat für das Hotel Tannerhof bei Bayerisch Zell ein weiteres Gebäude geplant. Im Interview erklärt er warum es bei ihm keine großen Gesten gibt...

(Das Interview ist in der Du-Form geführt worden. Wir haben es für diesen Artikel so gelassen.)

Der Tannerhof in Bayrischzell wächst weiter – und bleibt sich doch treu. Nach mehr als zehn Jahren seit dem letzten großen Umbau ist ein neues Haus entstanden, das zugleich reduziert und vielschichtig wirkt. Im Gespräch mit Hotelinhaberin und somit Bauherrin Burgi von Mengershausen und Architekt Florian Nagler wird klar: Hier geht es nicht um spektakuläre Gesten, sondern um das Wesentliche.

Florian Nagler und Burgi von Mengershausen © Micol Krause

Wie fühlt es sich für euch an, am Tannerhof ein neues Projekt abzuschließen – vor allem vor dem Hintergrund eurer bereits langen gemeinsamen Geschichte?

Burgi: Das ist sehr berührend. Wir kennen uns seit 2007 und haben unser erstes großes Projekt 2011 realisiert. Nach so langer Zeit hieß es dann: Wir sollten das Badehaus weitermachen – eigentlich als zweiter Schritt des großen Umbauprojekts gedacht. Am Ende ist etwas ganz anderes daraus geworden, aber etwas Wunderschönes und sehr Bewegendes. Darüber freue ich mich total.

Hier geht es zu unserer Berichterstattung über den Tannerhof.

Florian, du bist der Architekt des gesamten Projekts. Wie fühlt es sich für dich an?

Florian: Der Tannerhof ist schon ein besonderes Projekt, weil wir ihn – wie Burgi gerade gesagt hat – schon lange begleiten. Beim letzten Mal haben wir, wenn meine Rechnung stimmt, vier Jahre gebraucht vom ersten Kennenlernen bis zur Umsetzung. Auch diesmal haben wir uns Zeit gelassen und viele verschiedene Varianten abgewogen. Ich bin sehr froh, dass es schließlich genau die Lösung geworden ist, die wir jetzt umgesetzt haben. Denn dieses Haus passt einfach wunderbar zum Tannerhof.

Zum Thema Ursprung und zu den Visionen: Was war damals für dich der Reiz, das Projekt Tannerhof zu beginnen – also die Zusammenarbeit an diesem besonderen Ort?

Burgi: Natürlich die tollen Bauherren, richtig? (lacht)

Florian: Ja, klar. Bauen ist Vertrauenssache. Wenn man ein Projekt gemeinsam angeht, sollte die Chemie zwischen den Beteiligten stimmen. Man braucht das Gefühl, gemeinsame Interessen zu haben und auf dasselbe Ziel hinzuarbeiten – dieses Gefühl hatte ich ziemlich schnell. Dann wird es eine superschöne Aufgabe, gerade in einer landschaftlich so besonderen Situation. Der Bestand war herausfordernd: ein Gebäude mit hundertjähriger Geschichte, das über die Jahrzehnte immer weitergebaut und weiterentwickelt wurde. Teilweise war es, auch nach vielen Besuchen, für mich noch ziemlich unübersichtlich – aber genau das machte es spannend. Die entscheidende Frage für mich war: Wie bauen wir heute auf dem Land? Wie schaffen wir etwas, das in eine ländliche Umgebung passt, ohne zu verleugnen, dass es im Hier und Jetzt entstanden ist? Mit den Bauherren ließ sich dieses Thema sehr gut umsetzen, weil sie ähnliche Vorstellungen hatten. Wir wollten etwas, das zum Ort und zum Tannerhof passt – und zugleich offen dafür ist, ungewöhnlich und modern zu sein.

Was würdet ihr sagen: Welche gemeinsamen Werte verbinden euch? Wo trefft ihr euch – wo fühlt ihr euch gegenseitig verstanden und gesehen, als Bauherr und als Architekt?

Burgi: Das Freisein von Konventionen und die Fähigkeit, unkonventionell zu denken. Das verbindet uns sehr. Etwas Neues zu entwickeln, wie damals die Idee, statt einiger Hütten Türme zu bauen. Das war spannend: in die Höhe zu gehen, ohne zusätzliche Fläche zu versiegeln. Dann die Liebe zum Holz als unglaubliches Baumaterial, die Liebe zur Schlichtheit und das Prinzip ‚weniger ist mehr‘. Das alles teilen wir.

Genauso wichtig ist uns, Dinge gemeinsam weiterzuentwickeln. Wir haben das Hotelfach ja nicht gelernt, wir sind eigentlich Ärzte. Und auch für dich Florian war es spannend, weil du gesagt hast: ‚Ein Hotel habe ich bisher noch nicht gemacht.‘ So haben wir uns beide in etwas Neues begeben, wo wir gemeinsam lernen konnten. Und, nicht zuletzt, verbindet uns auch der Humor.

Florian: Man muss ja auch über sich selber lachen können. Das ist total wichtig. Gemeinsam – das trifft es sehr gut. Wir haben Lust, auch das zu akzeptieren, was der andere in ein Projekt einbringt. Natürlich versuchen wir bei all unseren Projekten, uns auf die Bauherren einzulassen. Aber am Tannerhof ist es besonders: Da sagt man hinterher, das wäre nie so geworden ohne die Bauherren. So ein Projekt kann man als Architekt nicht allein ‚gebären‘, es entsteht im Dialog. Und manchmal muss man auch sagen: ‚Das würde ich eigentlich nicht so machen, aber wenn ihr euch sicher seid, dass es passt, dann machen wir es so.‘ Und dann holen wir gemeinsam das Beste heraus. So war es immer auf beiden Seiten und vielleicht ist es gerade deshalb auch das Beste geworden.

Burgi, wann war für dich der Moment, an dem du nach der Zusammenarbeit und dem ersten Umbau, der 2011 abgeschlossen wurde, gespürt hast: Jetzt ist es wieder Zeit für etwas Neues, jetzt können wir wieder etwas hinzufügen?

Burgi: Das war ungefähr 2018. Den ersten Umbau hatten wir 2011 abgeschlossen, und damals war eigentlich schon vorgesehen, das Badehaus – also das Gebäude mit den Behandlungsräumen und der Arztpraxis – in einem zweiten Schritt zu renovieren und zu verschönern. Das war der Ursprungsgedanke, und ich habe gesagt: Jetzt wäre es an der Zeit, diesen zweiten Schritt zu gehen. Doch dann kam eins zum anderen. Schon damals haben wir überlegt, ob ein Außenbecken nicht schön wäre.

Es begann also wieder ein spielerisches Drauflosplanen, und über die Jahre kam immer mehr dazu. Wir dachten zwischenzeitlich sogar darüber nach, im Ostflügel der Neuen Tann etwas zu verändern, und überlegten, ob wir das Indoor-Schwimmbad überhaupt noch brauchen. Dort hätte ein Esszimmer entstehen können, während wir draußen auf der Wiese einen neuen Outdoor-Pool samt größerem Wellnessgebäude errichtet hätten.

Alles war bereits durchgeplant, bis uns eine Pandemie ausbremste. Dann folgten weitere Krisen, Materialengpässe und enorme Kostensteigerungen. Irgendwann standen wir vor einem Gesamtkonzept, das nicht mehr finanzierbar war. Also haben wir die Reißleine gezogen.

Am Ende ist das hier die Essenz all dieser großen Planungen, die wir nun umgesetzt haben. Und ich freue mich sehr darüber, weil es sich gut anfühlt und einfach tannerhöferisch ist. Man braucht bei solchen Projekten ja manchmal Zeit, um zu prüfen: Passt das überhaupt noch zu uns? In diesem Fall wissen wir heute definitiv: So wie es jetzt gebaut ist, passt es perfekt.

Florian, wie ist es für dich? Wie fühlst du dich rückblickend mit dieser Essenz und dem langen Weg hierher – nach all den großen Planungen, die schließlich zu diesem Ergebnis geführt haben?

Florian: Die Essenz ist gut, und ich bin wirklich froh, dass vieles, was wir zwischendurch geplant hatten, am Ende nicht umgesetzt wurde. Es war so etwas wie ein Einkochen – immer kleiner, immer angemessener. Manchmal ist es auch ein Vorteil, wenn nicht genügend Geld vorhanden ist: Dann überlegt man sich zweimal, was man wirklich braucht, und baut nur das, was wichtig und wesentlich ist. Das ist ein Thema, das uns am Tannerhof schon lange begleitet. Auf der Tür zum Hofladen steht der Satz: ‚Mensch, werde wesentlich.‘ Diesen Gedanken habe ich bei unseren Projekten hier immer im Hinterkopf behalten: Braucht man das wirklich? Ist es etwas Wesentliches – oder ist es etwas, auf das man im Grunde auch gut verzichten kann?

Wie kam es dazu, dass ihr die Harpfe als Ausgangspunkt genommen habt? Vielleicht kannst du auch noch einmal erklären, was die Harpfe ist – bildlich gesprochen.

Florian: Nach meinem Verständnis stammt die Harpfe aus der Landwirtschaft: ein Holzgerüst, das man zum Trocknen von Heu oder zum Einlagern anderer Dinge verwendet – eine offene Konstruktion mit einem schützenden Dach darüber. Auf die Idee kamen wir, glaube ich, durch Roger. Er wollte immer schon eine Harpfe, und ich fand das ebenfalls ein sehr schönes Thema. Unsere früheren Projekte waren dafür nicht geeignet – sie waren zu groß, nahmen zu viel Fläche ein und benötigten zu viele geschlossene Räume.

Mit der Harpfe haben wir tatsächlich ganz reduziert angefangen: nur mit dem Dach. Nach und nach kamen dann Elemente hinzu, wie der schöne Ruheraum oder die Sauna auf der anderen Seite. Trotzdem hat das Ganze den Charakter eines offenen Gestells mit einem schützenden Dach behalten – ein starkes Element in der Landschaft. Das wurde sofort verstanden, auch im Gemeinderat, als wir das Projekt vorgestellt haben: ‚Ah ja, das ist wie ein landwirtschaftliches Gebäude, das da schön am Hang steht – parallel zu den Höhenlinien, sodass die Eingriffe in die Topografie minimal bleiben.‘ Und genau das macht die Harpfe so besonders.

Burgi: Das war sehr schön erklärt. Für uns besteht eine lange Verbundenheit mit den Harpfen. Die ersten haben wir in Kärnten und Osttirol entdeckt. Archaische Bauten, die so selbstverständlich dastehen und dabei die Natur nicht erdrücken oder verdecken, sondern sie im Gegenteil noch verstärken. Genau das ist auch hier gelungen: eine Architektur, die das Naturerleben intensiviert und neue Bilder schafft.

Das empfinde ich als etwas sehr Kunstvolles, und ich freue mich unglaublich über die Stimmungen, die uns gelungen sind – sei es oben im Ruheraum mit dem Blick hinaus, drüben vor der Sauna mit der gesamten Länge der Harpfe und ihren Balken, oder unten am Pool, wenn man hinausschaut. Es ist ein viel intensiveres Dasein in der Natur, und ich finde es unglaublich, wenn einem so etwas mit einem Bauwerk gelingt.

Gab es ein Vorbild? Abgesehen von den archaischen Harpfen – hast du schon einmal etwas Ähnliches realisiert oder kennt ihr jemanden, der so etwas umgesetzt hat? Oder handelt es sich tatsächlich um eine originäre Idee, ein Gebäude, das ihr selbst entwickelt habt?

Florian: Lange, schmale Holzbauten haben wir schon einige realisiert – sie passen einfach wunderbar zum Holzbau. An den Harpfen gefällt mir besonders, dass sie immer ein starkes landschaftliches Element sind. Das war uns auch für dieses Haus wichtig.

In der Harpfe wollten wir dann all das unterbringen, was am Tannerhof bisher gefehlt hat oder verbesserungswürdig war – etwa der Fitnessraum. Ich weiß gar nicht, an wie vielen verschiedenen Stellen er in den Planungen schon vorgesehen war. Jedenfalls war klar: Er muss verbessert werden. Dazu kam der Wunsch nach einem schönen Ruheraum und einer Erweiterung der Sauna – Dinge, die es hier wirklich braucht.

Gleichzeitig finde ich es schön, dass das Haus großzügig ist und nicht überladen wirkt. In der Mitte gibt es einen zweigeschossigen Luftraum, und darunter ist die Fläche frei – dort kann man im Schatten sitzen. Schon beim Richtfest haben wir gemerkt, dass sich dieser Raum auch für andere Dinge eignet, etwa für ein Fest. Im Grunde haben wir ein stabiles Gerüst gebaut, das wir bereits teilweise ausgebaut haben, das aber noch weiter ausbaufähig bleibt.

Burgi, ist das Projekt Tannerhof für euch jetzt rund? Oder gibt es schon Ideen, was ihr in Zukunft vielleicht noch umsetzen möchtet – sei es in zehn Jahren oder vielleicht sogar schon im nächsten Jahr?

Burgi: Der Tannerhof ist tatsächlich nie fertig. Er ist immer ein Prozess und auch eine Mehrgenerationenaufgabe. Wir sind jetzt die vierte Generation hier, und es wird weitergehen. Als wir die Planung auf das Wesentliche reduziert hatten, war es unser Sohn Jonas, der meinte: ‚Ihr müsst da unbedingt noch Fitnessräume einbauen. Wenn ihr das nicht macht, seid ihr echt total doof.‘ Und er hatte recht. So etwas braucht es einfach.

Für die nächste Generation, die hier arbeitet und wirkt, wird es also immer neue Aufgaben geben: Hütten müssen renoviert, Zimmer erneuert werden. Und wer weiß, was uns sonst noch alles einfällt. Neben der Architektur ist das Thema Energie natürlich ein sehr wichtiges, um den Tannerhof zukunftsgerichtet aufzustellen.

Florian, hättest du noch eine Idee für den Tannerhof, die du gerne umsetzen würdest in Zukunft?

Florian: Also ja, ich finde, oberhalb des Tannerhofs gibt es eine wirklich schöne Stelle – ich war zwar noch gar nicht so oft dort –, ein kleines Becken mit einer Fläche davor zum Liegen, die Plattform. Ich denke, das wäre noch ein Ort mit Potenzial, weil es einfach wahnsinnig schön ist.

Aber ansonsten bin ich gespannt, was von Bauherrenseite kommt. Ich bewundere das sehr, denn es ist ein anstrengendes Geschäft – jenseits dessen, dass ihr, Burgi, dort wohnt und lebt. Einen Betrieb mit ständig wachsenden Anforderungen und den Ansprüchen der Gäste am Laufen zu halten, ohne sich auch nur eine Sekunde zurücklehnen zu können, das muss man erst einmal stemmen. Ich finde es bemerkenswert, dass das über so viele Generationen funktioniert.

Umso wichtiger ist es, in sich zu ruhen und klar zu wissen: Was ist der Tannerhof, was macht ihn aus? Ihn behutsam weiterzuentwickeln, aber gleichzeitig offen zu bleiben für neue Ideen, auch wenn andere ihn in Zukunft vielleicht anders weiterentwickeln. Das finde ich wirklich beeindruckend.

Wenn das Projekt nun bald fertig ist und die ersten Gäste es nutzen, sei es beim Bahnenziehen im Pool, beim Blick aus der Sauna oder beim Lesen im Ruheraum unter den schönen Lampen, was ist euer Wunsch? Wie sollen sich die Menschen fühlen, was soll dieser Ort in ihnen auslösen?

Florian: Eigentlich habe ich gar keine besonderen Wünsche. Man muss mit seinen Häusern nicht unbedingt etwas Spezielles bewirken wollen. Menschen sind so unterschiedlich, sie empfinden Räume ganz verschieden. Natürlich wäre es schön, wenn sie sich wohlfühlen und wenn sie es als Bereicherung des Tannerhofs erleben. Gerade die Gäste, die seit Jahren oder Jahrzehnten kommen, sollen sagen können: ‚Schön, dass es das jetzt auch noch gibt.‘

Im Grunde ist es ja etwas Kleines: eine Wand, ein paar Räume dahinter, davor ein Holzgerüst und ein Schwimmbad. Nichts Riesiges oder Spektakuläres. Aber es schafft und gibt unglaublich viele verschiedene Situationen. Ich sitze zum Beispiel jetzt hier im Ruheraum und schaue den Wolken zu, wie sie über den Berg ziehen – da könnte man stundenlang sitzen. Oder man blickt hinüber zu den Türmen, über die Wiese ins Tal. Und wenn man genau hinsieht, erkennt man unten auch den Pool.

Ganz anders ist die Stimmung in den Fitnessräumen, die ein Stück weit in den Berg hineingegraben sind. Mit der hochgezogenen Brüstung und dem anschließenden Boden spürt man dort unmittelbar, dass man in der Erde steckt. Und wieder eine andere Situation ist der freie Bereich unter dem Haus, der so lässig wirkt.

Bei aller Reduktion ist am Ende also doch ein vielschichtiges Projekt entstanden.

Burgi: Ich wünsche mir, dass unsere Gäste ähnlich berührt werden wie ich. Einfach hier zu sitzen, da zu sein – ohne bewusst zu merken, was mit einem passiert. Nur hinausschauen und sich denken: ‚Boah, ist das schön. Wunderbar, dass es so etwas noch geben darf.‘

Verfasserin des Interviews: Micol Krause

Hier geht es zum Original-Text.